"Werte erleben"Im Wertebündnisprojekt „Einmischen!“ üben Schülerinnen und Schüler demokratische Praxis.

Was sind eigentlich Werte?

Das ist gar nicht so leicht zu beantworten. In seinem Nachschlagewerk Psychologie der Werte, das der Psychologieprofessor Dieter Frey gemeinsam mit Studierenden verfasst hat, schreibt er dazu: „Unter Werten versteht man die Grundsätze, nach denen eine Gesellschaft oder eine Gruppe von Menschen ihr Zusammenleben richtet oder richten will“ (Frey 2016: VII). Und weiter: „Werte leiten das Verhalten von Menschen. Sie liefern ein Koordinatensystem, einen Kompass, an dem sich ein Mensch orientieren kann, und bilden die Basis von Entscheidungen“ (ebd.). Das ist zunächst einmal eine allgemeine und neutrale Beschreibung, die zugleich die normative Dimension des Wertebegriffs erkennen lässt. Deutlich wird dies, wenn man beispielsweise an totalitäre Systeme denkt. Denn auch diese orientieren sich an Werten, wie etwa dem absoluten Gehorsam gegenüber einer Führerpersönlichkeit, nur dass wir diese Werte als undemokratisch und moralisch verwerfl ich einstufen. Einer liberalen Demokratie liegen Werte zugrunde, die in Form von Rechten in einer Verfassung verbrieft sind. Die Werte, auf denen unser Grundgesetz basiert, wie unter anderem der Schutz der Menschenwürde, werden deshalb Verfassungswerte genannt (vgl. Detjen 2009, für die Didaktik vgl. Kretschmann 2021). Nun mag man einwenden, dass diese Rechte täglich verletzt werden, sowohl auf individueller als auch auf staatlicher oder zwischenstaatlicher Ebene. Heißt das, wir brauchen sie gar nicht? Sind sie überfl üssig? Im Gegenteil, sie sind von zentraler Bedeutung, weil sie uns ein Kompass sind, an dem wir uns als demokratische Gesellschaft orientieren – und ja: auch messen lassen müssen.

Wertebildung statt Wertevermittlung

Seit 2010 widmet sich das Wertebündnis Bayern der Wertebildung junger Menschen in Bayern. Die Auseinandersetzung mit Werten wird in diesem heterogenen Netzwerk aus zivilgesellschaftlichen und staatlichen Organisationen als ein Bildungsprozess verstanden, für den es Zeit und Handlungsräume braucht. Es geht also nicht um eine theoretische Vermittlung von „den richtigen“ Werten, sondern um die aktive Teilhabe in Projekten und auch das Erleben von Werten, die miteinander in Konfl ikt stehen. Wir sprechen deshalb bewusst von Wertebildung und nicht von Wertevermittlung. Dabei ist jedes Projekt so angelegt, dass es junge Menschen über Wertefragen zum Nachdenken anregt, sie zum Diskutieren und Handeln ermuntert (vgl. Bündnispapier). Alle Beteiligten suchen gemeinsam nach Lösungen und Antworten auf gesellschaftliche Fragen unserer Zeit. Gemeinschaftlich erarbeiten die Partnerorganisationen – darunter Vereine, Verbände und Stiftungen – lebensnahe Projektideen. Das Themenspektrum ist so breit gefächert wie die Schwerpunkte der Partnerorganisationen und reicht von politischer Bildung und Demokratieerziehung über die Wertschätzung regionaler und saisonaler Lebensmittel bis hin zur Begeisterung für Musik, Sport, Kunst und Kultur.

Seit der Gründung 2010 ist das Netzwerk der beteiligten Partner auf über 200 angewachsen. Jeder Wertebündnispartner verpfl ichtet sich beim Beitritt dem gemeinsamen Bündnispapier. Um das Wertebündnis zukunftsfest zu machen, wurde 2015 durch den Freistaat Bayern die Stiftung Wertebündnis Bayern errichtet.

Wertebildung in der Praxis: das Projekt „Einmischen!“

Eines der Projekte, das bereits seit drei Jahren durch das Wertebündnis und das Bayerische Staatsministerium für Arbeit und Soziales gefördert wird, ist das Projekt „Einmischen!“. Beim Projekt „Einmischen!“, das von der Bayerischen Landeszentrale für Politische Bildungsarbeit und dem Landesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement e.V. geleitet und durchgeführt wird, setzen sich Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufen 8 bis 10 gegen Diskriminierung ein, sie engagieren sich für Klimaschutz, unternehmen etwas für mehr soziale Gerechtigkeit oder sie machen sich stark gegen Hass und Demokratiefeindlichkeit. Dabei arbeiten die Klassen mit Ehrenamtlichen aus gemeinnützigen Initiativen zusammen.

Die Jugendlichen bewerben sich zusammen mit Ihrer Lehrkraft bei „Einmischen!“ und entscheiden sich hierbei, eine der großen derzeitigen gesellschaftlichen Herausforderungen anzugehen: Diskriminierung, Klimakrise, soziale Ungerechtigkeit oder Hass und Demokratiefeindlichkeit. Im Anschluss besuchen Teamerinnen und Teamer von „Einmischen!“ die Klasse für zwei Schultage, während derer sich die Schülerinnen und Schüler Themenbereiche wie Demokratie, Partizipation und Engagement interaktiv erarbeiten. Schließlich entwickeln die Jugendlichen ein konkretes, vor Ort umsetzbares eigenes Pilotprojekt zu der gesellschaftlichen Herausforderung, die sie im Vorfeld gewählt hatten. Unterstützung erhalten die Jugendlichen dabei von Ehrenamtlichen einer lokalen oder regionalen zivilgesellschaftlichen Initiative, die sich ebenfalls mit dem Thema auseinandersetzt.
Die Ergebnisse? Ein neuer Radweg vor der eigenen Schule, mehr Solarenergie in der Kommune oder eine Infokampagne über versteckte rechtsextreme Codes. Diese und viele andere Projekte haben sich Schülerinnen und Schüler bereits ausgedacht und in nur sechs Wochen auf den Weg gebracht.
„Einmischen!“ setzt somit auf aktives politisches Engagement und bietet jungen Menschen die Chance, mit der eigenen Idee Partizipation ganz praktisch zu erleben. Im Mittelpunkt des Lernprozesses steht das eigene politische Handeln für demokratische Werte und die Reflexion darüber. Die Jugendlichen stärken so nicht nur ihr Bewusstsein für gesellschaftliche Probleme und demokratische Werte, sondern erfahren in einem sicheren Rahmen niederschwellig Selbstwirksamkeit. „Bei manchen Punkten hat man mehr gelernt als sogar im Unterricht“, kommentierte etwa ein Schüler der Realschule Hersbruck seine Erfahrung mit dem Projekt.

Wissenschaftliche Evaluierung

Dieser subjektive Eindruck wird auch durch das Team der Professur für Politische Bildung der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, die das Projekt wissenschaftlich begleitet, bestätigt. In ihrer Mixed-Methods Wirkungsstudie sieht Lisa Schmidt (Wiss. Mitarbeiterin der Professur) deutliche Belege, dass die politischen Partizipationsfähigkeiten, die Partizipationsmotivation sowie das Wissen um Partizipationsmöglichkeiten in einer Demokratie bei den teilnehmenden Schülerinnen und Schülern gestärkt wird. Im Einzelnen bedeutet dies, dass im Projekt eine ganze Reihe weiterer Fähigkeiten trainiert werden, etwa politische Artikulationskompetenz, aber auch die Kompetenz der Perspektivübernahme, Frustrationstoleranz und Kompromissfähigkeit. Dies hilft Schülerinnen und Schülern in Konfliktsituationen klar zu argumentieren, dabei das Verständnis und die Berücksichtigung anderer Standpunkte nicht aus den Augen zu verlieren, lösungsorientiert zu diskutieren und auch einmal eigene Interessen zugunsten gemeinsamer Lösungen anzupassen. Damit stärkt die Teilnahme am Projekt das Verständnis, sich als Teil der demokratischen Gesellschaft zu sehen. Das Projekt orientiert sich zwar an klassischen Prinzipien des Service Learning, also daran, dass demokratische Werte am ehesten durch aktive Teilnahme und Engagement in der Gemeinschaft vermittelt werden können. Es nimmt aber auch die in der politischen Bildung häufig vorgebrachte Kritik auf, dass Service Learning ausschließlich soziales, jedoch kein politisches Lernen fördere. „Einmischen!“ arbeitete deswegen unter wissenschaftlicher Begleitung des Teams um Prof. Rico Behrens in den vergangenen Jahren wegbereitend daran, politisches Lernen und praktische Demokratieerfahrungen stärker miteinander zu verknüpfen und so ein tieferes Verständnis für politische und gesellschaftliche Zusammenhänge zu fördern. Insbesondere wurden dazu auch die Schulworkshops des Projektes beständig weiterentwickelt, um eine gesellschaftspolitische Reflexion der Engagement-Erfahrungen zu ermöglichen. Damit ist „Einmischen!“ ein Modellprojekt im Spektrum der demokratischen Wertebildung.

Im Wertebündnis Bayern sind Organisationen, Vereine, Verbände und Stiftungen aus allen Bereichen der Gesellschaft partnerschaftlich verbunden. Das Fundament der Zusammenarbeit der vielen heterogenen Partner bilden das Grundgesetz und die Bayerische Verfassung.

Seit der Gründung 2010 ist das Netzwerk der beteiligten Partner auf über 200 angewachsen. Auch die KEG Bayern ist Teil des Wertebündnisses und beteiligt sich an Projekten der Bündnispartner.